Der Precursor der SGL Carbon – Ausgangsprodukt der Carbonfaser

21.02.2022

Carbonfasern sind ein ganz besonderer Werkstoff. Durch ihre hohe Zugfestigkeit und der hohen Steifigkeit bei geringem Gewicht ermöglichen sie eine Vielzahl von innovativen Leichtbaulösungen für verschiedene Branchen: Von ultraleichten Karosseriebauteilen für Automobil und Luftfahrt, über Batteriekästen für die Elektromobilität bis hin zu Reibbelägen für Automatikgetriebe und Hebesystemen und vielem mehr. Aber was ist eigentlich der Ausgangsstoff für Carbonfasern? Dr. Andreas Wöginger, Head of Technology des Geschäftsbereichs Carbonfaser bei der SGL Carbon erklärt uns die Herstellung des Carbonfaser-Vorproduktes.

Herr Wöginger, woraus wird die Carbonfaser gemacht?

Wöginger: „Die Herstellung von Carbonfasern ist ein hochtechnologischer Prozess. Ausgangsmaterial ist der sogenannte Precursor, das sind kilometerlange, seidenweiße Kunststoffasern, die wir bereits seit 2016 an unserem portugiesischen Standort Lavradio herstellen. Auf zwei Spinnlinien wird hier das Basismaterial für die Carbonfasern produziert.“

Was genau versteht man unter Precursor? Und wie wird er hergestellt?

Wöginger: „Der Precursor ist zunächst ähnlich einer textilen Kunststofffaser. Am Anfang steht ein in der Kunststoffindustrie gängiges Ausgangsprodukt, ein sogenanntes Polymer, wie beispielsweise Polyacrylnitril (PAN). PAN ist das perfekte Precursor-Material für die Herstellung von Carbonfasern, da es eine regelmäßige Polymerstruktur besitzt und eine sehr hohe Carbonausbeute liefert. Daraus werden dünne Fäden erzeugt – der sogenannte PAN-Precursor, also auf Deutsch der Vorläufer bzw. das vorläufige Produkt.“

Wie läuft dieser Schritt genau ab?

Wöginger: „Fangen wir von vorne an: Die Grundlage und Basis von PAN bildet das Monomer Acrylnitril. Zusammen mit den richtigen Copolymeren stellen wir in einem Reaktor, gefolgt von Trenn- und Waschprozessen, weiße Pellets her, die wir trocknen und dann zu einem Pulver verarbeiten, dem Polymer Polyacrylnitril. Wir sprechen hierbei von Polymerisation. Anschließend wird das PAN mithilfe eines Lösungsmittels zu einer Art Sirup, der sogenannten Spinnmasse vermengt. Dann drücken Pumpen das Gemisch in einem Lösungsbad durch Spinndüsen mit 50.000 ultrafeinen Öffnungen, der Faden wird gesponnen. Im weiteren Prozess wird dieser mehrfach gewaschen, getrocknet und läuft dabei durch mehrere Bäder sowie über eine Vielzahl von Rollen. Am Ende der Produktion legen Roboterarme die Fäden, die aus abertausenden Einzelfilamenten bestehen, vollautomatisch in riesige Kisten ab. Dann geht es zum Hafen und von dort aus über die Weltmeere entweder in den Norden Schottlands oder in die USA, wo unser Precursor zu Carbonfasern weiterverarbeitet wird.“

 

Warum spielt die Qualität des Precursors eine so große Rolle?

Wöginger: „Der Precursor ist die Grundlage für alle weiteren Produktionsschritte. Schon hier können wir die Weichen für verschiedene Fasertypen und dadurch auch für individuelle Lösungen stellen und geben bereits bei der Herstellung des Precursors den späteren Carbonfasern die gewünschten Eigenschaften mit auf den Weg. Nur mit einem eigenen produzierten Precursor sind auch Veränderungen in Bezug auf Festigkeit und Steifigkeit am Produkt möglich, indem der Precursor entsprechend der Anforderungen angepasst wird. Denn der Precursor entscheidet bereits über Eigenschaften wie Anzahl, Durchmesser und Form der Filamente sowie über Oberflächeneigenschaften.“

Was ist das Besondere am SGL-eigenen Precursor?

Wöginger: „Der Schlüssel ist 50K in Verbindung mit hoher Zugfestigkeit.
 

50K bedeutet, dass eine Carbonfaser aus insgesamt 50.000 Einzelfilamenten besteht. Dies führt zu mehr Effizienz in den weiteren Verarbeitungsschritten.

Gleichzeitig sind wir mit unserem eigenen Precursor in der Lage eine sehr hohe Zugfestigkeit zu erreichen. Selbst für den Aerospace Bereich reichen die Werte. Der Precursor benötigt hierfür eine exakt eingestellte kristalline Struktur, um später als Carbonfaser seine enorme Zugfestigkeit zu entwickeln. Um diese Struktur zu erhalten, müssen Dutzende Parameter genauestens eingehalten werden: Temperaturen, Mischungsverhältnisse, Druckgrößen, ... Je besser wir das beherrschen, desto mehr Performance und Qualität für unsere Kunden.

Die Produktionsschritte werden kontinuierlich hinsichtlich Qualität und Produktivität optimiert. Durch unsere starke Innovationskraft, die permanenten Verbesserungen der Prozesse und herausragenden Einsatz unsere Fachkräfte, konnte die Entwicklung des eigenen Precursors in kürzester Zeit realisiert werden. Was einen enormen Wettbewerbsvorteil für die SGL mitbringt und uns zum einzigen wirklich europäischen Carbonfaser-Hersteller macht. Denn das Kernknowhow der größten Faserhersteller für die Precursor- und Carbonfaserherstellung konzentriert sich bis heute in den USA und in Asien.

Durch den Einsatz unserer Carbonfasern in Form von Leichtbauprodukten für Rotorblätter in Windkraftanlagen oder auch in der Elektromobilität, tragen wir außerdem einen Beitrag zur Verringerung des CO2-Fußabdrucks bei.“

Wo geht die Entwicklung hin? Gibt es auch nachhaltige Varianten eines Precursors?

Wöginger: „Es gibt einige vielversprechende neue Ansätze, Precursor auf Basis natürlicher Rohstoffe zu gewinnen, wie beispielsweise Algen, Cellulose oder Lignin. Die Entwicklung steckt hier allerdings in einem sehr frühen Stadium und ist noch viele Jahre von der Industrialisierung entfernt.“

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